Ich möchte dir hier ein paar Tipps geben, wie du die letzten Tage von 2020 halbwegs unbeschädigt über die Runden kommen könntest (keine Garantie).
- Falls du auf die Idee kommen solltest, auf dem Kutschkermarkt Käse zu verkaufen, dann lass um Himmels Willen deinen Rucksack (mit Handy, Geldtasche, Geld, Kreditkarte, Bankomatkarte, Vorteilskarte, Jahreskarte Wiener Linien, Wiener Bäder Karte, Personalausweis, E-Card, Wohnungsschlüssel, Haustorschlüssel, Fahrradschlüssel, Brille, USB-Stic, Thermoskanne undsoweiterundsoweiter) zuhause. Was willst du mit all dem Krempel? Die Brille könntest du dir aufsetzen. Einen Fünfziger könntest du dir in den Hosensack stecken und das Handy könntest du dir um den Bauch schnallen (oder zuhause lassen). Steck dir deine Thermoskanne und die Käse-Verkaufsschürze in einen Plastiksack, zieh los und fühl dich frei.
- Falls dir dein Rucksack (mit allem Krempel, den Chris Lohner “belongings” nennt) … Also falls dir eben dieser Rucksack mit all deinen Belongings (Krempel) dann doch geklaut wird (weil du Ratschlag Eins nicht befolgt hast), dann verzweifle nicht, es gibt Hilfe – außer du warst im Vorfeld zu blöd, die Funktion der Zwei-Faktor-Authentifizierung deines Handys zu verstehen und richtig anzuwenden (dann ist dir leider nicht zu helfen).
- Es kann sein, dass drei junge Polizisten auf der Polizeistation dann doch Mitleid mit dir kriegen und dich nachhause bringen, weil du weder deine Karten sperren lassen kannst (weil dein Handy weg ist), noch etwas lesen kannst (weil deine Brille weg ist), oder dir einen Kaffee besorgen kannst (weil dein Geld weg ist), oder eine Maske aufsetzen kannst (weil dein Rucksack weg ist), noch nach Hause kannst (weil deine Schlüssel weg sind) undsoweiterundsoweiter.
- Falls die netten Polizisten also mit ihrem fetten Auto vor deinem Haus parken und dich in ihre Mitte nehmen, darf es dich nicht stören, dass der uniformierte Aufmarsch deine böse Nachbarin auf den Plan ruft, die plötzlich an den Briefkästen fummelt und vor Freude strahlt, weil sie nun Gewissheit hat, dass du eine Verbrecherin bist, die eingesperrt gehört.
- Die böse Nachbarin kriegt ihren Wunsch erfüllt – denn du wirst, bis dir jemand dein Türschloss gewechselt hat, eingesperrt bleiben (macht aber nicht viel, weil es ist eh lockdown, nur telefonieren kannst du halt nicht), denn du solltest die Wohnung nicht verlassen, wegen dem geklauten Schlüssel, weil du so blöd warst, deine Adresse in deinem Brillenetui zu hinterlassen undsoweiterundsoweiter.
- Falls du an jenem Morgen sehr früh aufgestanden bist, um (mit deinen Belongings) zum Markt zu fahren, und es verabsäumt hast, für ein Minimum an Ordnung zu sorgen, wirst du dich – sobald die Polizisten eintreten (nachdem du dein Geheimversteck mit dem Zweitschlüssel geplündert hast) – fühlen wie Hugh Grant in “Notting Hill”, als Julia Roberts vor der Tür steht, weil er ihr Orangensaft ins Dekollettee geschüttet hat, und sie sich in seiner Wohnung ein wenig frisch machen will, wo es aussieht wie Sau … du kennst die Szene…
- Behalte um Gottes Willen stets all deine Codes und Passwörter im Kopf parat, falls dann in deiner unaufgeräumten Wohnung zwei Polizisten deinen Laptop bearbeiten (während sich der dritte interessiert umsieht), in deinem Namen mit Irland und Kreditkartengesellschaften und versuchen, diese ZweiFaktorAuthentifizierung zu knacken, was unmöglich ist, weil du dafür einen Code auf das Handy kriegst, das du nicht mehr hast. Es ist kompliziert…
- Solltest du nicht ohne dein Handy leben können, und (entgegen meiner Empfehlung), es doch zum Markt mitnimmst, um Antons Bergkäse zu verkaufen, dann sei so gut, und deaktiviere den Flugmodus (den du am Abend vor dem Einschlafen aktiviert hast) – sonst wird die Suche noch schwerer.
- Solltest du dann, weil du locked-in im Lockdown bist, als letzten Ausweg aus deiner Verzweiflung Hilfe im Flagship Applestore in der Kärntnerstraße suchen, dann sei so gut und versuche, Epidemien jeglicher Art zeitlich großräumig zu umschiffen – denn es wird dir nicht möglich sein, diesen Laden ohne Termin zu betreten. Den Termin besorgst du dir ganz einfach, in dem du so schnell wie möglich nach Hause gehst (wo gerade deine Türschlösser ausgewechselt werden), du dir deine hundertste App auf deinen PC lädst (da dein Handy ja weg ist), dir den nächstmöglichen Termin (nach Weihnachten) geben lässt und versuchst, dich nicht zu ärgern, dass du keinen Zugang zu nichts mehr hast. (Nütze die gemütliche geschenkte Offline-Zeit, um Socken zu stricken und Kekse zu backen).
- Irgendwann wird sich aber auch dein noch so fröhliches Gemüt ein wenig trüben und du hast nur noch den Wunsch, deine Familie zu besuchen, die 600 Kilometer weit weg ist.
- Das ist jetzt ein sehr heikler Moment. Du wirst nämlich merken, dass du online kein Zugticket buchen kannst, weil du keine Kreditkarte hast und nicht anrufen kannst, weil du kein Handy hat.
- Komme jetzt bitte nicht auf die Idee, zum Westbahnhof zu fahren und dir ein Zugticket (und bei der Gelegenheit eine neue Vorteilscard) zu besorgen – was natürlich alles Geld kostet, das du nicht hast, wegen du weißt schon. Denn genau in dem Moment, als du als einzige Kundin (weil 2020 außer dir niemand auf die hirnrissige Idee kommt vor Ort zu buchen) am Schalter stehst, gehen die Türen auf, eine Frau rennt herein und schreit: “Ruft’s die Polizei! Da rennt eine mit dem Messer herum!” Ein ÖBB-Mitarbeiter wird sich eine Putzstange schnappen, hinausrennen und die Frau mit dem Messer zu Fall bringen, während der blutende Kollege zum Schalter kommt und sich niemand mehr um dein Ticket kümmern wird, weil nun erst Pflaster und ein Erstehilfkasten gesucht werden müssen. Du wirst in die Halle gehen, die innerhalb von Sekunde gefüllt ist mit dreißig Polizisten, in der Mitte eine junge Frau, die mit dem Bauch am Boden liegt… Du wirst nur noch galgenhumorig lachen und dir die Polizisten aus der Nähe anschauen und träumen, dass dich einer, der tags zuvor in deiner Wohnung war, wiedererkennt und dir ein Zettelchen in die Hand drückt, auf dem steht, dass er dich am Sonntagnachmittag im Türkenschanzpark beim Teich treffen will. Du wirst hingehen. Du wirst mit ihm auf einer Bank sitzen. Natürlich mit Sicherheitsabstand. Ihr werdet Glühwein trinken und den Enten zusehen. Es wird anfangen zu schneien. Er wird sich die Maske vom Gesicht reißen und dich küssen und du wirst merken: Es war doch für etwas gut.
- Und wenn dann ein Tag vergangen ist, wird an deiner Tür eine alte Frau klingeln. Sie wird deinen Rucksack in der Hand halten, den sie nach dem adventlichen Gebet in einer Biotonne hinter der Gertrudkirche gefunden hat. Plötzlich wirst du deine Wohnungsschlüssel wieder haben, deine Brille, den Bergkäse von Anton, deine Thermoskanne, deine Käseverkaufs-Schürze, den USB-Stic, all die Bleistifte und Kugelschreiber und die versifften Masken und es wird dich doch noch ein weihnachtliches Gefühl ereilen und du wünschst dem Dieb von ganzem Herzen, dass er viel Spaß hatte mit deinen Karten, deinen 300 Euro, und beim Telefonieren mit deinem Handy. An der Stelle solltest du bedenken, dass der Dieb auch eine Diebin gewesen sein könnte, und dass du besser gendern solltest.
- Und irgendwann, wenn du dein altes Handy halbwegs funktioniert, und du dein Leben wieder irgendwie im Griff hast, wirst du leider erkennen müssen, dass der Satz “Alles ist für etwas gut” überhaupt nichts taugt. Du hast zu viele Ereignisse im Leben von Menschen beobachtet, die leider für gar nichts gut waren, die selbst rückwirkend, zwanzig Jahre danach, einfach nur Mist waren.
- Es sei denn, einer der Polizisten hätte dir tatsächlich ein Zettelchen in die Hand gedrückt, und er hätte mit mir im Türkenschanzpark Glühwein getrunken und ihr hättet dem Wind in den Weiden gelauscht und es hätte angefangen zu schneien und der Polizist hätte seinen Arm um dich gelegt und sich die Maske vom Gesicht gerissen undsoweiterundsoweiter
Frohe Weihnachten!