Ich bade gern. Badewanne habe ich keine. Brauche ich nicht. Das Jörgerbad ist um die Ecke. Das älteste Bad Wiens. Ein historischer Traum. Als ich herzog, nahm ich mir vor, alle Bäder Wiens kennenzulernen. Das sind über fünfzig. Viele davon hundert Jahre alt – Museen mit Meerwert. Meine Familie schenkte mir eine Jahreskarte und ich zog los.
Im Amalienbad trieb ich auf dem Rücken und betrachtete über mir einen Art-déco-Schatz von Schönheit. Im Krapfenwaldbad lag ich unter Föhren und blickte über ganz Wien. Im Schafbergbad fand ich viele Liegen unter Himmel. Im Döblinger Bad traf ich gnädige Damen. Im Stadionbad schwamm ich auf der Senioren-Bahn und freute mich, nicht überholt zu werden, während im Wellenbad arabische Familien hüpften und lachten. Meistens landete ich dann doch wieder im Jörgerbad. Mittwoch ist Warmwassertag – da kommen die Babys und es ist sehr gemütlich. Im Sommer gibt`s dort sogar ein Freibad. Mitten in der Stadt. Ich lag im Gras, schaute in die Kastanien und hörte die Bim vorbeifahren. Der Eintritt kostet überall nur zwei oder drei Euro. Danke Rotes Wien. Im Neuwaldegger Waldbad ist es teurer. Das wird von einer Familie betrieben. Die Kochkünste der Besitzerin sind legendär. Ich verbrachte ganze Tage dort – mein exklusiver Rückzugsort, wenn ich Sommer-Bade-Waldidylle und Stille wollte.
Dann kam Corona.
Eineinhalb Jahre war mein Körper nicht unter Wasser. Stattdessen tat ich, was alle taten: In einen Bildschirm starren. Ich hörte auf mich zu spüren.
Mitte Juli dann, ich weiß nicht, wie es kam, fand ich mich in Island wieder, in einem Bach, auf weichen Kieselsteinen. Das Wasser reichte mir gerade ans Kinn – nicht zu hoch, nicht zu tief, perfekt. Aus der Erde sprudelte heißes Wasser. Vom Berg herunter floss kaltes Wasser. Das Wasser vermischte sich um mich herum. Wie Vanilleeis mit heißen Himbeeren. Meine Haut begann zu prickeln. Ich drehte mich wie ein Seehund und wollte singen vor Glück – als hätte ich den ersten Schluck genommen und erst dann bemerkt, dass ich kurz vor dem Verdursten gewesen war. Seither ist keine Pfütze mehr vor mir sicher – pfeif auf die Bikinifigur, pfeif auf zu kalt, zu heiß, zu flach, zu tief, zu steinig, zu irgendwas. Spring rein!
Wenige Wochen später tauchte das Mittelmeer vor auf. Während wir auf die Fähre warteten, rannte ich hinunter in den Hafen, riss mir die Kleider vom Leib und tauchte ein. Oh, wie hatte ich dieses Gefühl vergessen, wie einen das Salzwasser trägt, wie es einen warm in den Arm nimmt. Ich badete nackt im Neumond, während die Perseiden vom Himmel ins Meer stürzten. Ich lag im Sand. Ich lag auf heißen Klippen. Ich roch Pinienwälder, Rosmarin und gebratenen Fisch. Ich schmeckte Salz auf meiner Haut. Und als ich wieder in der Stadt war, schwamm ich in der Alten und in der Neuen Donau, im Strömungsbad und im Straßenbahnerbad. Die Sonne ging hinter mir unter und wärmte meinen Rücken. Vor mir fiel mein Schatten auf die Wasseroberfläche. Darunter tauchten kleine Fische auf. Ich lebe wieder.
Sollten wir im nächsten Winter wieder zuhause bleiben müssen, und es unmöglich sein, in ein anderes Land abzuhauen, dann blase ich mir ein Schwimmbecken auf, stelle es mir ins Wohnzimmer, fülle es mit Meersalz, gieße abwechselnd mit heißem und kaltem Wasser auf, bedampfe den Raum abwechselnd mit Schwefel oder mit Pinienwaldduft und lasse abwechselnd Vulkangebrodel oder Zikaden aus meinen Boxen laufen, um mich an den Sommer 2021 zu erinnern.
Denn auch der frei arbeitende Mensch bedarf der Luft, des Lichtes und des Wassers. So oder so ähnlich sagte schon der Bürgermeister 1926 anlässlich der Eröffnung des Amalienbades.